Eingehüllt in kollektive Trauer

Der Abgang eines Heroes

Niemand hatte eine Vorstellung davon, wie es werden würde nach Ihm. Immer wieder habe ich mit meinen Omanischen FreundInnen darüber gesprochen: Was, wenn, danach? Sultan Qaboos Bin Sa’id Al Sa’id hat die Regentschaft von seinem Vater 1970 in einem Coup mit den Briten übernommen. Er hat das Land aufgebaut und 49 Jahre regiert. Er hat die Renaissance des Oman ausgerufen und Schritt für Schritt von einem wirtschaftlich und gesellschaftlich rückständigen Land zu einem prosperierenden friedvollen Partner in der Region entwickelt. Die neutrale partnerschaftliche Haltung des Oman war und ist ein wichtiger Stabilisator in einer sonst von Kriegen und Konflikten gekennzeichneten Region.

Darüber ist in den letzten Wochen viel geschrieben worden, deswegen möchte ich hier nicht weiter ins Detail gehen, auch wenn die Entwicklungen, die der Oman durchgemacht hat, sehr beeindruckend sind. Diesen wohlgeplanten Übergang in ein neues, modernes Zeitalter haben die Omanis miterlebt und die damit verbundenen Verbesserungen in ihrem Alltag lieben gelernt. Die Rolle als Friedensstifter und Toleranzbastion unter streitenden Brüdern wurde Teil der Identität eines ganzen Volkes. In den Augen der Omanis hat Sultan Qaboos sein Leben als unverheirateter Single ohne öffentliche Eskapaden dem Land gewidmet. Sein Auftreten und seine im schönsten Arabisch formulierten Reden waren selbst für einen gebildeten Menschen außergewöhnlich. Als das National Museum 2015 eröffnet wurde, habe ich eine Stunde vor dem Wurlitzer mit den gesammelten Reden des Sultan seit 1970 verbracht. Auch wenn ich das Meisste nicht verstand, waren seine politischen Reden Poesie in meinen Ohren.

Sultan Qaboos hat schon zu Lebzeiten einen Kultstatus errungen, der sich jeder Besucherin und jedem Besucher bald eröffnete. Natürlich ist der Oman kein Schlaraffenland, es gibt auch hier einiges zu verbessern und sein Nachfolger wird alle Hände voll zu tun haben, um den Oman vor allem wirtschaftlich abzusichern. Wenn auch mit gewählten Beratungsgremien, ist das Sultanat eine autoritär geführte Monarchie mit eingeschränkter Redefreiheit. Aber der Sultan hatte dafür gesorgt, dass niemand Not leiden muss und jede und jeder etwas vom Kuchen, der durch Öl und Gasvorräte bis vor kurzem ausreichend groß war, abbekommt. Die Menschen haben das gespürt und es war Teil ihrer Zufriedenheit, Bescheidenheit und Ergebenheit gegenüber dem unangefochtenen Landesvater.

Der Oman hat also am 10. Jänner 2020 seinen Vater verloren. Es war keine große Überraschung, da Sultan Qaboos schon länger schwer krank war, aber innerlich hatte offenbar doch niemand damit gerechnet oder rechnen wollen. Denn nicht nur durch die komplexe Erbschaftsregelung konnte sich niemand vorstellen, wer in die Fußstapfen des großen Mannes und Helden der Beduinen treten könnte.

40 Tage kollektive Trauer

Ich erwachte früh an jenem Freitag, dem wichtigsten Feiertag in der Woche und Tag des Freitagsgebetes, und mein Mobiltelefon war bereits mit Nachrichten überfüllt. Es war geschehen, Sultan Qaboos in der Nacht verstorben. Nachdem alle großen Straßen gesperrt waren und alles abgesagt wurde, wußte ich nicht, was ich tun sollte und fuhr über Seitenwege an den Strand zum morgendlichen Spaziergang. Ich war im einzigen Auto in Muscat, der Hauptstadt des Landes unterwegs, ich traf niemanden, alles schien wie ausgestorben. Mein Strandspaziergang war daher unheimlich, für kurze Zeit folgte mir ein Armeefahrzeug, keine Menschenseele an den sonst mit Flanierern gefüllten Meeres Promenaden. Es war völlig unklar, was passieren würde, aber der Übergang nach dem Ableben des Monarchen war perfekt orchestriert. Die befürchteten Familienfehden fanden nicht statt, das Militär hatte alles im Griff. Vier Stunden danach wurde bereits der Nachfolger, sein Cousin Haitham ibn Tariq als neuer Sultan angelobt, um 11 Uhr fand das Begräbnis statt und danach begannen die viertägigen Trauerfeierlichkeiten.

Für vier Tage wurde das Land völlig geschlossen, gerade manche Supermärkte hatten geöffnet, die Straßen wurden für die vielen Staatsgäste abgeriegelt. Viele ausländische Würdenträger kamen und die Medien waren überfüllt mit Nachrufen und Würdigungen, die 40 Tage dauern sollten. Ich habe so etwas noch nicht erlebt. Ein Land fiel in kollektive Trauer um seinen Vater, der Sicherheit und Identität gab. Alle mit denen ich sprach, vom Taxifahrer bis zur Unternehmerin, waren zu tiefst betroffen. In den Familien wurde geweint und das nicht nur am ersten Tag der Bekanntgabe der Todesnachricht. Dabei wurde die Nachricht vom neuen Sultan sehr positiv aufgenommen, ein wesentlicher Aspekt war, dass Sultan Qaboos selbst den Namen des Nachfolgers in einem Brief festgehalten hat und die Familie auf einen eigenen Vorschlag verzichtete.

Es wurde still

40 Tage ohne Musik, Tanz, Feierlichkeiten. Alle Veranstaltungen vom Muscat Marathon bis zur Ausstellungseröffnung oder Opernaufführung wurden abgesagt. Sogar Firmen stornierten alle Feierlichkeiten oder öffentliche Veranstaltungen. Im Fernsehen und Radio oder den Shoppingmalls spielte keine Musik, selbst aus den Autos drang keine Laut. Alle Aktivitäten wurden herunter gefahren und zwischendurch gab es immer wieder Tränen. Wenn man nicht dabei war, könnte man schnell in europäischen Zynismus verfallen, denn immerhin handelte es sich um einen politischen Führer, aber die Gefühle waren echt und ich traf niemanden, der sich auch nur ansatzweise davon distanziert hätte. Eines der Talente, die ich im Zuge meiner Interviews für die podcasts traf formulierte es später so:

Uns wurde nach dem Ableben (von Sultan Qaboos) bewußt, wie sehr wir unseren Lebensstandard für selbstverständlich und gegeben nahmen. Durch den Verlust sind wir zusammengerückt und wollen uns noch mehr für das Land einsetzen und Verantwortung für die Prosperität von Oman übernehmen.

Abeer Al Mujaini, Co-Founder Psychology of Youth

Ich habe erst nach und nach realisiert, dass es sich mehr oder weniger um einen sechs wöchigen Stillstand handelte. Die ewige Dankbarkeit, dass es diese Persönlichkeit im eigenen Land gab, der achtsame Umgang miteinander und die spürbare Bescheidenheit haben mich sehr beeindruckt. In dieser Zeit dabei gewesen zu sein, wenn auch nur als Gast, habe ich als Privileg erlebt. Gleichzeitig muss ich zugeben, dass es für mich, die in diese Kultur nicht hineingeboren wurde und nur teilweise verstand, was passierte schwer zu tragen war. Auch wenn ich den arabischen Grundsatz: “Geduld ist schön” als Lebensziel übernommen habe, hat meine europäische Seele unter dem absoluten Stillstand gelitten. Mein Respekt vor den Omanis ist dadurch noch gestiegen. Es fällt mir recht schwer, das Erlebte in Worte zu fassen, die hier lebenden AusländerInnen, mit denen ich in dieser Zeit Kontakt hatte, haben es ähnlich mitfühlend erlebt. Sich selbst für einen höhere Sache völlig zurück zu nehmen und in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, habe ich in dieser Intensität noch nicht erlebt. Diese Trauer hatte etwas Ehrliches und Schönes.

An alle Talente im Land

Letzte Woche, also nach Beendigung der 40 tägigen Trauerphase, hat sich der neue Sultan Haitham ibn Tariq in seiner ersten Rede an das Volk gewandt. Er hat angekündigt, den Kurs der Renaissance fortzusetzen und gleichzeitig, wichtige Probleme angehen zu wollen. Er richtete sich an die Jugend und die Talente im Land, für die er gemeinsam neue Perspektiven eröffnen möchte. Das gehört sicherlich zu den größten Herausforderungen im Oman. Auch wenn es in breiten Kreisen der Bevölkerung unterstützt wird, erfordert es eine enorme Wandlung in den traditionell verankerten Gepflogenheiten und Lebensgewohnheiten.

P.s. Der Stillstand im Land hat erstens dazu geführt, dass ich viel länger blieb als geplant. Das war gut verkraftbar. Zweitens hat es bedeutet, dass ich die Gespräche mit Talenten und Menschen im Oman, die Brücken bauen, erst kurz vor meiner Abreise nach Saudi Arabien durchführen kann. Es wird also noch ein bisserl dauern, bis ich die Podcasts auf safatalents.org veröffentliche. Sultan Qaboos zu Ehren. May his soul rest in peace.


2 responses to “Echte Tränen im Oman”

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