Mein letzter Palästinabesuch hat mich nachhaltig beschäftigt und nicht losgelassen. Es war klar, dass ich da wieder hin muss – trotz oder gerade, das weiß ich selber nicht so genau. Dieses Mal war ich vier Tage in einem palästinensischen Flüchtlingslager nahe Hebron. Ich bin durch meinen sehr geschätzten Arabischlehrer hingekommen, da sein Doktorvater dort lebt. Das Lager besteht seit der ersten großen Vertreibung 1949 und aus den Zelten sind längst Häuser geworden. Es gibt in Palästina einige solcher Lager, die man zunächst als Stadtteil wähnt, aber sie sind besonders. Es gibt keine richtigen Straßen, da die Wege zwischen den Häusern nicht groß genug sind, daher auch keine Autos, schlechte Versorgung und im Falle des Camps, in dem ich gewohnt habe, leben 14.000 Menschen aufgefädelt auf einem Kilometer. Da es keinen Platz gibt, wird nach oben aufgestockt, wodurch es bei Mohammad in der Kleinwohnung zum Beispiel kaum Tageslicht gibt. Die Israelis haben sichtlich nicht damit gerechnet, dass die Menschen in den Camps ausharren und sich weiter vermehren. Auch in der palästinensischen Gesellschaft sind sie Menschen zweiter Klasse, weil sie Besitzlose sind. Im Arabischen muss man ein Haus haben; das kommt in seiner Bedeutung gleich nach der Familie.

Als ich ankam, war Mohammad noch nicht da und ich habe zwei Stunden bei seiner Familie verbracht. Sehr originell, weil keiner der Anwesenden Englisch sprach und mein Arabisch dort gerade mal als Pausenfüller reichte. Ein zahnloser sehr freundlicher Herr und ich hatten einen zwar wortarmen aber sehr intensiven Austausch und wir haben uns gegenseitig ins Herz geschlossen. Später stellte sich heraus, dass er ein Bruder ist, der in Bethlehem am Bau arbeitet. Er versteht viel und hat ein großes Herz, ich hatte also meinen ersten Vertrauten im Camp. Dann kam Mohammad, den ich ja gar nicht kannte, und der eine Ausländerin bei sich wohnen ließ, das ist ja doch außergewöhnlich hier. Aber nicht für Mohammed, denn er besitzt nicht nur einen großen Geist, sondern ist auch ein überzeugter und überzeugender Humanist. Innerhalb dieser vier Tage hat er mir viel über sich und die Geschichte seiner Familie erzählt. Ich konnte ihm, so wie vielen anderen, im Wesentlichen nur zuhören und weiß ehrlich gesagt nicht, wie man so ein Leben aushält.

Mohammed spricht vier Sprachen und wir haben uns in einer Mischung aus arabisch, spanisch und englisch unterhalten, da ich hebräisch nun aber wirklich nichts zu sagen wußte außer Shalom. Fast jeder, der uns im Camp begegnet ist, saß zu irgendeinem Zeitpunkt in einem israelischen Gefängnis, wobei das Camp nicht zu den aufrührerischen zählt. Die Menschen wirken eher resigniert. Mohammed sagte zu einem Zeitpunkt: “wenn du in der Westbank lebst, bist du immer in einem Gefängnis entweder in einem kleinen oder in einem großem aber du bleibst eingesperrt”. Und das stimmt, denn als Palästinenser hat man keine Bewegungsfreiheit, Mohammed darf nirgends außerhalb der Westbank hinreisen, außer nach Jordanien. Seit 2001 darf er nicht einmal mehr nach Jerusalem, so wie jeder unverheiratete Palästinenser. Jeden Abend um 20 Uhr kommt ein israelisches Polizeiauto und sperrt das Haupttor zu. Man kann dann zwar trotzdem noch nach Hause, aber nur über Umwege, und das trifft auf viele der israelischen Maßnahmen zu, die dazu dienen, das normale Leben enorm zu erschweren. In der Früh, wenn die Kinder in die Schule gehen und dabei die Hauptstraße überqueren müssen, wird die Straße für Araber gesperrt, damit die jüdischen Siedler schneller durchfahren können. Manches wirkt einfach unfassbar zynisch, aber es gibt schon lange keine Änderungen, die zu einer Verbesserung führen würden.

 


2 responses to “Eingesperrt in der Westbank”

  1. Ich habe während meines Geschichtsstudiums zum Prager Ghetto unter Maria Theresia gearbeitet. Was mich so verrückt macht, ist, dass die einschränkenden, diktatorischen Maßnahmen ganz ähnlich waren. Und frage mich, wie groß die Traumatisierung durch 2000 Jahre Pogrom- und Vernichtungserfahrung sein mag, um den Blick für die Unverhältnismäßigkeit der Reaktionen zu verlieren. Und muss wohl als Deutsche (?) schweigen? Du erstattest Bericht – und das ist wichtig – da darf es kein “ja,aber” geben. Mich beeindruckt die Größe von Mohammed! Und ich schäme mich für Friedensgeplapper.

    • Die Größe von Mohammed hat mich auch tief beeindruckt. Seit meinem Besuch sind sein Vater, seine Schwägerin, bei der ich am ersten Tag zu Gast war, und sein Bruder, mit dem ich mich so gut ohne Worte verstanden habe, gestorben. Beide plötzlich, die Schwägerin war in ihren Fünfzigern und sein Bruder nicht viel älter. In einem Flüchtlingslager der Westbank bleibt man ein leben lang aber man wird nicht alt.

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