Grenzen erfahren

Sich in die Wüste begeben und diese zu durchwandern ist für durchschnittliche EuropäerInnen gewissermaßen eine Extremsituation. Bis zu 30 Grad Temperaturunterschied innerhalb eines Tages, Sandstürme und andere unerwartete Wetterereignisse, die Strapazen des Gehens in der Wüste und speziell auf Sanddünen, der Schutz des Körpers vor der aggressiven Sonne bei Tag und der Kälte in der Nacht, die hygienischen Limitationen, die eingeschränkte Verfügbarkeit von Wasser … ich möchte keine abschreckende Liste entwerfen, sondern nur aufzeigen, dass es sich hier um elementare Erfahrungen handelt, die an die menschliche Substanz gehen. Es sind Bedingungen, denen wir uns im Alltag niemals freiwillig stellen würden. Warum sich also so weit außerhalb der Komfortzone begeben? Nur um die Schönheiten der Natur zu entdecken und genießen?

It’s not all about beauty …

Die eigene Komfortzone zu verlassen ermöglicht ungewöhnliche Lernimpulse. Das persönliche Durchleben einer völlig fremden Situation, die starke Emotionen wie Angst oder Glücksgefühle auslöst, wirkt als Katalysator für eigene Verhaltensänderungen. Aus meiner Sicht bietet die Wüste jedem Lernenden einen perfekten Erfahrungsraum. Mir eröffnet das Erlebnis – zu Fuß unterwegs in der Wüste – jedes Mal von neuem außergewöhnliche Eindrücke.

Komfort lass los!

Die Reduktion auf Basisbedürfnisse und das Zurückstecken jeglichen Komforts zeigt mir klar die Begrenztheit meines Handelns und Wirkens auf. Für mich ist das eine heilsame Erfahrung, weil wir ja in unserer Kultur darauf ausgerichtet sind, alles und vor allem unsere Umwelt kontrollieren und planen zu können. Es wäre natürlich fatal, sich ungeplant der Wüste auszusetzen, es braucht viel und sorgsame Vorbereitung, um so eine Tour auf die Beine zu stellen, und dazu auch die richtige Begleitung. Aber sobald man in der Wüste ist, kann man nur mehr innerhalb des Ermessensspielraumes agieren. Und dieser entscheidet sich immer im gegenwärtigen Moment – dann, wenn man direkt damit konfrontiert wird. Der Fokus verschiebt sich auf das Sein und den aktuellen Moment Der Alltag zu Hause und das Außen verlieren sofort an Bedeutung und verschwinden so lange, bis man wieder in die Zivilisation zurückkehrt.

Der Schutz des eigenen Körpers wird zur vordringlichen Aufgabe, denn das Übersehen von Details kann schnell sehr schmerzhaft werden. Eine gute Übung. Unter diesen Bedingungen kann man nicht wählen, sondern muss sich ständig um die Erhaltung der eigenen Körperfunktionen kümmern. Das Gelingen ist daher eine tiefe Befriedigung, denn das liegt wirklich in der eigenen Hand, das hat man tatsächlich selbst geschafft. Es tut gut zu erleben, dass so vieles „ohne“ möglich ist, also ohne Wasser zum Waschen, Toilette und ohne elektrisches Licht und Strom, Internet und jegliche Außenkontakte auszukommen. Selbstgewählte Unerreichbarkeit, wo ist das heute überhaupt noch möglich?

Einer, der in der Wüste seine Grenzen ausgelotet und dafür sich selbst gefunden hat: Mubarak Bin London

p.s. ein guter Test für eure Aufmerksamkeit: wer hat das Kamel am Bild entdeckt?


2 responses to “Playdoyer für das Wüstenwandern (1)”

  1. Einladend – dieses Bild? Ich werde das Wüstenwandern nicht mehr leisten können Ich kenne das Gehen in Sanddünen Norddeutschlands, die Schwere bei jedem Schritt. Also: ein Sehnsuchtsbild – die Leere ängstigt mich, das Kamel am (fast) Horizont – unerreichbar, die Vegetation zerzaust. Ganz und gar unbegleitet sich hineindenken in das Bild? Mich doch einem kenntnisreichen, Erfahrenen anvertrauen, ganz und gar. Auch das wäre ein Lernangebot.

  2. ..ja, die Stille und Weite der Wüste, ist auch für mich ein Ort der Vollkommenheit …”in die Stille hören”.. habe ich dort gelernt und vieles mehr .. jedes Jahr wiederhole ich dieses “Bündnis” mit der Sahara…..schön, dass es andere auch so erleben….denn leider wird sie schon zu oft mit Jeeps durchkreuzt und beraubt Ihrer Stille….die Wüste kann man nur erspüren indem man sie durchwandert .. zu Fuß… in seinem Tempo…in Stille..