Das schnelle Ende und der unvollendete Anfang 2020

Ein Jahr musste vergehen. Ich dachte, ich würde so schnell wie möglich einfach da weiter machen wo ich aufgehört hatte in der Wüstenstadt Riyadh, bei meiner ersten Entdeckungsreise in Saudi-Arabien. Es war mein Deal mit mir – zu gehen, um wieder zu kommen. Nun ja. Es bleibt auch noch nach einem Jahr ungewiss. Das schmerzt und deswegen schreibe ich jetzt nieder, was mich so bewegt hat in dieser kurzen Zeit. Ein Land, völlig unbefleckt, weil so befleckt. Ich wollte mir unbedingt mein eigenes Bild machen und mit Menschen ins Gespräch kommen, von denen man nie hört außerhalb der arabischen Welt.

Freedom of thinking

Freedom of speech ist also ideenlose Vordergründigkeit, die auf die Strukturen im Westen zugeschneidert ist. Die erste Frage aller Journalist*innen aus dem Westen und dabei so dumm, da sie alle anderen ausschließt oder gering bewertet. Freedom of speech sei eine vermeintliche Freiheit, da sie nichts dahinter verlangt. Freedom of thinking hingegen ist smart. Sie erhält die Würde und gibt Gestaltungsfreiheit bei der Wahl der Methoden und Zugänge, ohne dabei in totalitären Regimen das eigene Leben zu riskieren. Sie erfordert das intellektuelle und emotionale Durchdringen eines Themas und ein hohes Maß an Kreativität für ungewöhnliche Lösungen. Zu intelligent für die Zensur und gleichzeitig Standpunkte und Botschaften vermittelnd. Die Spielwiese und das Spezialgebiet des saudischen Künstler*innenkollektivs rund um Abdulnasser. And smart he is!

freie Zusammenfassung nach Abdulnasser Gharem

Ich ließ seine Sätze sickern. Er saß umrahmt von Bücherwänden mit wichtigen philosophischen Titeln und Schriften von Intellektuellen der ganzen Welt. Kunst braucht philosophische Auseinandersetzung und einen Überbau! Ich lächelte, der ehemalige Oberstleutnant der saudischen Armee war in seinem Vortrag sehr überzeugend und ich seine einzige Zuhörerin. Mein Blick schweifte im Raum herum. Die anderen Anwesenden waren Künstler*innen und Teil des Kollektivs. Für sie war das nichts Neues und nicht alle von ihnen sprachen englisch. Sie arbeiteten an einem Mosaik im Auftrag von Abdulnasser. Meine erste intellektuelle Diskussion in Saudi-Arabien und ich war beflügelt. Gleichzeitig war ich innerlich aufgelöst, da ich so glücklich war, dass sich mein Atelierbesuch gerade noch ausgegangen ist, bevor ich ein paar Stunden später zum Flughafen fahren musste. Die letzte Maschine aus Riyadh Richtung Europa. Wenn alles gut ging, könnte ich über Istanbul nach Wien fliegen. Ich hatte ein online Ticket aber ohne Bestätigung. Das war mir in dieser Minute völlig gleichgültig.

Die letzten Stunden

Ich wollte nicht weg aus Saudi-Arabien. So lange hatte ich gewartet, bis ich in dieses Land offiziell als Individualtouristin einreisen durfte, und jetzt Pandemie. Ladenschluß. Das dritte Mal auf meiner Reise, nach der unvollendeten Revolution im Libanon und der Staatstrauer um Sultan Qaboos im Oman. Ich war wütend und konnte mich doch nicht dem wohlmeinenden Druck von Freund*innen und letztlich dem Anruf der Botschaft entziehen. Abbruch.

Ich machte keine Photos, ich wollte ganz präsent sein, zuhören und schauen. Sehen was passiert, was sich eröffnet. Wael, ein junger Künstler, der gerade in Dubai ein Projekt eingereicht hatte, führte mich durch die Zimmer. Seine Übertragung der Popart, Comics aus Amerika, Europa und Japan übersetzt auf heutige arabische Verhältnisse und doch auch wieder nicht arabisch. Global Smart. Dann war klar, dass ich gehen musste. Ich war schon viel zu lange da und was wollte diese Europäerin eigentlich, die nicht einmal Künstlerin war geschweige denn Philosophin, aber mit der man über so vieles reden konnte? Ich hatte einfach eine Email geschrieben, dass ich vorbeikommen und sie kennen lernen wollte. Ich hatte in einem Magazine in Dubai‘s Alserkal Art District von ihnen gelesen und war sofort fasziniert. Wie schafft es ein saudischer Künstler unter den bestehenden restriktiven Bedingungen, provokante Botschaften künstlerisch so eindrucksvoll umzusetzen? Ihn wollte ich kennen lernen und da war ich. Und wollte nicht weg.

Ich war mir nicht sicher, ob ich Einlass finden würde, da ich Instruktionen nur per Social Media erhalten hatte und in der Straße nichts auf ein Künstlerstudio hindeutete. Erst durch einen Anruf konnte ich den völlig unscheinbaren Eingang finden und landete in einem Vorgarten, der nichts verriet und eher an einen Ablageplatz einer Werkstatt erinnerte. Vielleicht gibt es diese Adresse schon nicht mehr, denn bei meinem Besuch war bereits unklar, ob sie bleiben konnten.

Ich verabschiedete mich und Wael umarmte mich sehr herzlich. Das war neu für mich, auf der arabischen Halbinsel kommt das selten vor bei Männern noch dazu in Zeiten von Corona. Aber er war sehr jung, eine neue Generation, erfrischend offen und unabhängig im Geist. Wenig später versuchte ich dem Taxifahrer klar zu machen, dass wir schnell sein mussten, was in Riyadh ein Ding der Unmöglichkeit ist. Aber ich musste noch meine Sachen von acht Monaten packen und rechtzeitig am Flughafen sein. Es gab keinen nächsten Flug, am Morgen würde der Flughafen geschlossen werden.

Es war bereits dunkel, Hitaf war nicht zu Hause. Sie hatte noch Dienst im Krankenhaus. Emergency Unit. Ich hinterließ ihr einen Brief, denn ich musste einen Teil meiner Sachen zurücklassen. Ich musste froh sein, wenn ich in den Flieger durfte, Übergepäck kam nicht in Frage. Kurz danach saß ich wieder im Taxi. Es war eine lange Fahrt und ich nutzte die Zeit, um all jenen Menschen zu schreiben, die sich bereit gezeigt hatten mich zu treffen und eventuell sogar ein Interview zu geben. I will be back, es war mir klar, dass ich zurückkommen musste, um den Faden wieder aufzugreifen. Dort, wo ich ihn jetzt durchgeschnitten hatte.

Welcome to Riyadh

Dabei hatte alles so großartig begonnen. Niemals hätte ich mir gedacht, dass ich in meiner ersten Woche in Riyadh so viele beeindruckende Menschen, vor allem junge und Frauen kennen lernen würde. Ich war viel herum gekommen im Nahen Osten, trotzdem hatte ich keine Vorstellung, wie es sich wirklich anfühlt in Saudi-Arabien. Und selbst diejenigen, die zuvor dort gelebt hatten, kannten nur die Realität der Ghettos für die Ausländer*innen ohne Bewegungsfreiheit mit der Geschlechtertrennung und der allgegenwärtigen Sittenpolizei. Und das war jetzt alles Geschichte. Ich konnte alleine durch die Straßen flanieren und mich in ein Kaffeehaus setzen, ohne darauf achten zu müssen, den Fraueneingang zu nehmen, denn den gab es nur mehr als Relikt. Und all das innerhalb von wenigen Jahren. Ausradiert.

Alles schien besser, unvergleichlich besser für die jüngere Generation, die ja das Davor, also die Zeit vor der Besetzung der Großen Moschee von Mekka 1979 und dem radikalen Schwenk nicht erlebt hatte. Alles, außer die Meinungsfreiheit oder präziser gesagt, freedom of speech. Es geht um Macht und Geld, so wie überall anders auch, aber die Mittel sind beängstigend und brachial. Am Tag, an dem ich gemeinsam mit 150 Fremd-Arbeiter*innen aus dem Oman kommend einreiste, platzte eine der vielen politischen Bomben. Nächste Angehörige und sehr mächtige Vertreter*innen des Königshauses wurden verhaftet. Ich hatte Sorge, dass es gröbere öffentliche Interferenzen geben könnte, nicht aber so in Saudi-Arabien.

Ankunft mit Freunden

Bei der Einreise war ich inmitten all der Arbeiter die einzige Frau und Touristin. Wie ich später erfuhr, ist es üblich, dass einige von ihnen Drogen schmuggeln, indem sie die Päckchen schlucken. Deshalb ließen sie uns nach den Wärmetests lange in der Schlange warten. Sie beobachteten, ob eine*r von uns Auffälligkeiten zeigte. Ein Mann war schon im Flieger nicht mehr ganz bei Sinnen, er taumelte und lallte. Ich war wütend, da er beim Einsteigen fast über mich fiel und ich forderte die umstehenden Kollegen auf, sich um ihn zu kümmern. Aber keiner von ihnen half ihm, sie wollten mit ihm nichts zu tun haben. Er war eine Gefahr für die Anderen. Danach hatte ich ihn aus den Augen verloren.

Eine sehr nette und geduldige Einreisebeamte ließ sich von mir auf arabisch meine Passdetails erläutern. Ich stammelte, da ich soviele Aufenthalte und speziell die im Iran und in China rechtfertigen musste. Aufgrund der Pandemie waren die beiden Herkunftsländer verboten. Sie war sehr nett und honorierte meine Bemühungen. Ich war schweißgebadet, sie war mein erster Kontakt mit den saudischen Behörden. Als Alleinreisende hatte ich mich davor natürlich eingelesen und die Berichte über die Feministinnen und Widerstandskämpferinnen im Gefängnis hatten meine Phantasie beflügelt. Schließlich kann man meine Positionierung sehr leicht öffentlich im Internet nachlesen. Aber im Gegensatz zu den israelischen Einreisebehörden, die umfassende Kenntnis über mich hatten, schien ich sie nicht weiter zu interessieren. Schließlich war ich eine der ersten Touristinnen und die sind für einen zukünftigen Wirtschaftsumschwung gefragt.

Fortsetzung folgt!